Formel 1 für die Strasse – der neue Mercedes-AMG Project One.
Derzeit ist Mercedes-AMG das Mass aller Dinge in der Formel 1. Da lag es quasi auf der Hand, dass man einen Supersportler mit Formel-1-Technik auf den Markt bringt, um der Konkurrenz von Bugatti oder Ferrari zu zeigen, dass man nicht umsonst diverse Weltmeistertitel in der Königsklasse des Motorsport eingefahren hat. Somit wurde bereits im Jahr 2017 das Concept-Car Mercedes-AMG Project One präsentiert, welches nun als Mercedes-AMG One die Werkshallen verlässt, um an das solvente Klientel gebracht zu werden. Gerade einmal 275 Stück werden von dem Silberpfeil gebaut, der in der Liga der Hypercars der etablierten Konkurrenz das Fürchten lehren soll.
Mercedes-AMG Project One: Design wie bei einem Le-Mans-Renner.
Der extrem flache Vorderbau mit den großen Kühlluftöffnungen und den schmalen Scheinwerfern erinnert ein wenig an die Konkurrenz von Koenigsegg, jedoch mag der aufgemalte Mercedes-Stern nicht so recht zum Premium-Anspruch dieses Fahrzeugs passen. Ein haptisches Markenemblem wäre in diesem Segment die bessere Lösung. Ansonsten ist die Frontpartie jedoch unserer Meinung nach sehr gelungen, und auch die Seitenansicht ist nicht weniger spektakulär als die sehr ausdrucksstarke Front. Mit seiner geduckten Linie und dem langen Heck, welches sehr stark an Le-Mans-Renner erinnert, schindet er auf jeder Strasse mächtig Eindruck.
Vor allen Dingen die Heckfinne, ein aerodynamisch wichtiges Bauteil aus dem Formel-1-Regal, zieht alle Blicke auf sich. Auch die Abdeckung des Heckmotors, welche zur Folge hat, dass der Wagen ohne Heckscheibe auskommen muss, ist eine Hommage an Langstrecken-Sportwagen vergangener Zeiten. Die Rückleuchten sprechen dagegen eher die Designsprache aktueller Lamborghini-Modelle, während der überdimensionale Zentraldiffusor am Heck unserer Meinung nach etwas zu aufdringlich wirkt. Das Styling des Wagens entspricht ganz klar den Vorstellungen, die man von einem Hypercar hat, ohne jedoch besondere Akzente zu setzen, wenn man mal die Heckfinne ausklammert, die in einem Luftansaugkanal mündet, wie man ihn von aktuellen Formel-Fahrzeugen kennt. Im Stand eingefahren und nicht sichtbar, ist der riesige aktive Heckflügel, der sehr martialisch wirkt, und optimalen Abtrieb bei hohen Geschwindigkeiten generieren soll. In Sachen Aussendesign wird man in Affalterbach wohl die Welt der Hypercars nicht revolutionieren können
Mercedes-AMG Project One: Der Innenraum wirkt fast wie aus einem Formel-1-Renner.
Sobald man im AMG Project One Platz nimmt, fühlt man sich wie Lewis Hamilton in seinem Dienstwagen. Tief kauernd in engen, lederbezogenen Vollschalensitzen, und blickt auf ein Cockpit, welches ganz im Formel-1-Stil gehalten ist. Selbst das Lenkrad ist nicht rund, sondern rechteckig, wobei es aus zulassungstechnischen Gründen jedoch nicht halboffen sein darf, so wie man es aus der Formel 1 kennt.
Die beiden volldigitalen Displays sorgen für ein modernes, aber sehr kühles und technisches Ambiente. Doch für Komfort sind bei der Marke Mercedes andere Fahrzeuge zuständig, denn dieses Geschoss möchte nur mit extremer Längs- und Querdynamik glänzen sowie mit Exklusivität. Dafür bietet der AMG Project One zwei Personen Platz, welche allerdings sehr gelenkig sein müssen und nicht zu kräftig gebaut sein dürfen, um es sich in dem ultraflachen Boliden bequem zu machen.
Die beiden Sitzplätze sind zudem ganz konventionell nebeneinander angebracht, und der Ein- und Ausstieg erfolgt über eine Mischung aus Scheren- und Flügeltüren, welche nach oben und gleichzeitig nach vorne öffnen, um in engen Parklücken möglichst wenig Platz einzunehmen. Dieses Konzept ist bereits von diversen McLaren-Modellen bekannt. Leider haben jedoch kleinere Piloten und Pilotinnen Nachteile beim Schliessen der Türen, da sie sich sehr weit strecken müssen.
Mercedes-AMG Project One: Triebwerk aus dem Formel-1-Boliden von 2016
Nun kommen wir allerdings zum absoluten Highlight dieses Wagens, nämlich der Antriebstechnik, welche direkt aus dem Formel-1-Rennwagen des Jahres 2016 übernommen wurde. Der V6-Turbobenziner, welcher nur über 1,6 Liter Hubraum verfügt und im Heck untergebracht ist, wird von zwei Elektromotoren an der Vorderachse unterstützt. Das Sechszylinder-Benzinaggregat leistet 759 PS bei atemberaubenden 11.000 Umdrehungen pro Minute.
Kein anderer Serienwagen erreicht eine höhere Drehzahl, wodurch die Formel-1-Gene definitiv sichtbar werden. Die beiden Elektromotoren, welche die Vorderachse antreiben, leisten jeweils 163 PS, wodurch der Bolide eine Systemleistung von 1054 PS und atemberaubenden 1400 Newtonmeter maximales Drehmoment leistet. Die Kraftübertragung erfolgt über ein automatisiertes 8-Gang-Schaltgetriebe, welches über Schaltpaddel am Lenkrad bedient wird.
Für mehr Komfort steht auch ein Automatikmodus zur Verfügung, welcher jedoch nur in den seltensten Fällen benutzt werden dürfte. Über jeden Zweifel erhaben sind nicht nur die Leistungsdaten, sondern auch die Fahrleistungen, da der Mercedes-AMG One in 2,6 Sekunden auf Tempo 100 sprintet, und erst bei über 350 km/h die Waffen strecken muss. Somit muss er zwar Bugatti und Koenigsegg in Sachen Höchstgeschwindigkeit den Vortritt lassen, aber er lässt jeden Supersportwagen vom Kaliber eines Lamborghinis oder eines Ferraris stehen.
Mercedes-AMG Project One: Ein Hypercar mit Formel-1-Technik, das für Furore sorgen soll.
Es bleibt abzuwarten, ob es dem Großserienhersteller Mercedes gelingt, in die Phalanx von Bugatti und Koenigsegg einzubrechen, da in dieser Klasse mittlerweile nicht nur die Exklusivität zählt, welche der auf 275 Stück limitierte Mercedes-AMG One zweifelsohne mitbringt, sondern auch die nackten Zahlen in der Performance. Im Vergleich mit einem Bugatti Chiron oder einem Koenigsegg Jesko muss sich der AMG One in Sachen Fahrleistungen geschlagen geben, da seine beiden Konkurrenten die 400-km/h-Marke knacken, wobei der Koenigsegg sogar die 300-Meilen-Marke (500 km/h) ins Visier nimmt. Die Schwaben hoffen natürlich, dass das neue Halo-Car der Marke auch einen positiven Effekt auf die gesamte Modellpalette hat, da von der einstigen Exklusivität eines Mercedes heute nicht mehr viel übrig geblieben ist. Mit einem Basispreis von 2,275 Millionen Euro zzgl. Mehrwertsteuer ist dieses exklusive Spielzeug ohnehin nur etwas für sehr solvente und vermögende Fans der Marke Mercedes-Benz. Am Ende wird es auch von der Wertstabilität dieses Modells abhängen, ob dieser Wagen den einstigen Mythos der Silberpfeile auch auf der Strasse wiederbeleben kann, oder ob er nur ein halbgarer Versuch war, die Erfolge aus der Formel 1 auf die Strasse zu übertragen. Mercedes-AMG plant noch in diesem Jahr mit dem Beginn der Auslieferung, nachdem diese aufgrund veränderter Zulassungsvorschriften verschoben werden musste. Spätestens nach den ersten Tests und Fahrberichten wird sich zeigen, wie ernst es Mercedes-AMG wirklich meint, und ob man in Affalterbach seine Hausaufgaben souverän erledigt hat, oder ob man noch eine Ehrenrunde im Konzert der Hypercars drehen muss, falls man feststellt, dass die Konkurrenz aus Schweden, Frankreich und Italien noch einen gewaltigen Vorsprung hat, den man nicht so einfach aufholen kann. Man darf ausserdem gespannt sein, wie das solvente Klientel den Newcomer aufnimmt.
An der IAA (2020) hätte dieses spezielle Auto neben weiteren Hochleistungs-Motor-Hybrid Wunder glänzen können. Ob dieses Fahrzeug auf der Strasse mit dem gleichen Antrieb rechnen kann wie es viral auf Facebook geht, werden wir erst noch sehen.